Spontane Reaktionen auf fremdsprachige Akzente sind stets ganz allgemein negativ

Neue Erkenntnisse aus der Sozialpsychologie / Auszeichnung mit Lorenz-von-Stein-Preis

Fremdsprachige Akzente begegnen uns alltäglich – sei es im Arbeitsleben, beim Einkaufen oder auf der Straße. Bisherige Forschung zeigt, dass diese Akzente starke Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Aber was lösen sie eigentlich in uns aus? Die Sozialpsychologin Dr. Janin Rössel hat dieses relativ wenig erforschte Thema in ihrer Dissertation untersucht. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass fremdsprachige Akzente allgemein spontan negative Reaktionen in uns auslösen. Dabei haben die meisten Menschen keineswegs die Absicht, sich von Vorurteilen leiten zu lassen. Janin Rössels Arbeit  wurde als beste sozialwissenschaftliche Dissertation des vergangenen Jahres an der Universität Mannheim mit dem Lorenz-von-Stein-Preis der gleichnamigen Gesellschaft ausgezeichnet.

Bisher dominierte in der Forschung die Sichtweise, dass fremdsprachige Akzente – je nachdem, wo wir die Herkunft verorten – in uns gruppenspezifische Stereotype auslösen: So gilt beispielsweise ein französischer Akzent als relativ beliebt, während russische oder türkische Akzente angeblich größere Vorbehalte in uns wecken. Rössel weist hingegen auf grundlegendere Reaktionen hin. Für ihre Doktorarbeit hat sie Testpersonen unter anderem Aufnahmen in akzentfreiem Deutsch, sowie mit französischem, italienischem, türkischem und russischem Akzent vorgespielt: „Es zeigte sich, dass die spontanen Reaktionen auf einen fremdsprachigen Akzent im Vergleich zu akzentfreier Sprache stets ganz allgemein negativ sind. Das gilt für den beliebten französischen Akzent ebenso wie für die negativ konnotierten Akzente Russisch oder Türkisch“, erklärt Rössel.

Die mit den Akzenten eventuell verbundenen Vorurteile gegenüber bestimmten Gruppen kämen demnach in der ersten spontanen Reaktion gar nicht zum Tragen, so die Psychologin. Auch können wir den Akzent eines Gesprächspartners auf Anhieb oft gar nicht korrekt einer bestimmten Muttersprache zuordnen. Für unsere allererste Reaktion ist die spezifische Gruppenzugehörigkeit des Gegenübers demnach also nicht entscheidend.

Warum wir offenbar grundsätzlich negativ auf fremdsprachige Akzente reagieren, erklärt Janin Rössel so: „Wenn jemand mit Akzent spricht, dann löst das in uns unwillkürlich Gefühle und bestimmte Assoziationen aus. Wir bemerken sofort die Fremd- oder Andersartigkeit beim Sprechen. Auch das Gefühl der Disfluenz, also einer schwierigeren Verarbeitung, setzt meist unweigerlich ein. Meine Untersuchungen zeigen, dass wir Akzentsprechende tendenziell als weniger kompetent einstufen – auch wenn die Personen sich grammatikalisch vollkommen korrekt ausdrücken.“ Die Psychologin betont, dass die Abwertung von akzentsprechenden Personen in der Regel nicht beabsichtigt sei. „Die meisten Menschen in unseren Stichproben wollen nicht vorurteilsbehaftet urteilen. Das ist grundsätzlich erfreulich. Wir sollten uns aber immer wieder bewusst machen, dass spontane negative Gefühle und Assoziationen unsere Wahrnehmung und unser Verhalten dennoch beeinflussen können.“

In ihrer mit der Bestnote „summa cum laude“ bewerteten Arbeit bediente sich Rössel beispielsweise des in der Psychologie weit verbreiteten Impliziten Assoziationstests, kurz IAT. Diese Testreihen sind freilich nur ein Teil der umfassenden Untersuchungen von Janin Rössel, so der Vorsitzende der Lorenz-von-Stein-Gesellschaft, Professor Thomas Gschwend. „Janin Rössel hat für ihre Dissertation eine ganze Reihe methodisch höchst ausgefeilter Studien durchgeführt und daraus ein Modell entwickelt, das bisherige Widersprüche in der Forschung erklärt und auflöst.“ Die Befunde besäßen zudem eine hohe Alltagsrelevanz im Kontext einer globalisierten Welt, betont Gschwend.

Kontakt

Dr. Janin Rössel, Universität Mannheim, Lehrstuhl für Sozialpsychologie
T +49 (0)621 181-3504
E jaroesse@mail.uni-mannheim.de