Aufschieben geschieht nicht zwingend aus Faulheit

Neue Studie belegt Zusammenhang von Prokrastination und Aufgabenstellung

Es liegt nicht nur an den vermeintlich faulen Studierenden, wenn sie ihre Arbeiten nicht rechtzeitig abgeben. Je unkonkreter und unklarer eine Aufgabenstellung formuliert ist, desto eher prokrastinieren die Studierenden. Das geht aus einer Untersuchung von Psychologen der Martin-Luther-Universität (MLU) Halle-Wittenberg hervor.

Egal ob im Studium, im Beruf oder bei der Steuererklärung: Viele Menschen schieben unliebsame Aufgaben so lange vor sich her, bis daraus ein Problem wird. „Prokrastination ist ein sehr komplexes Verhalten. Der Begriff wird in vielen Bereichen nahezu inflationär verwendet“, sagt Dr. Johannes Hoppe, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Arbeits-, Organisations- und Sozialpsychologie der MLU. Er beschreibt Prokrastination als bewusstes, aber irrationales Verhalten. „Ich habe eine Aufgabe, die ich eigentlich erledigen möchte, aber ich entscheide mich dennoch bewusst dagegen. Dabei weiß ich, dass das falsch ist und dass dadurch Probleme entstehen.“

Die halleschen Psychologen wollten untersuchen, wovon es abhängt, dass Studierende ihre Abschlussarbeiten nicht rechtzeitig abgeben. „Häufig wird der Hang zum Prokrastinieren nur als Charaktereigenschaft verstanden. Wir wollten überprüfen, ob es auch äußere Faktoren gibt, die Menschen zum Prokrastinieren verleiten“, sagt Hoppe. Ein möglicher Grund für eine verpasste Abgabefrist könnte etwa sein, dass die Studierenden keine Vorstellung davon haben, wie und mit welchen Mitteln sie eine bestimmte Aufgabe erledigen sollen. Erschwerend komme hinzu, wenn die Studierenden auch nicht wüssten, was genau von ihnen erwartet wird. Zusammengefasst: Je unklarer eine Aufgabe und der Lösungsweg sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass prokrastiniert wird.

Um diese Idee zu testen, befragten die Forscher knapp 100 Studierende zu ihrer letzten schriftlichen Arbeit. Sie  wollten wissen, ob den Studierenden das Erkenntnisziel ihrer Arbeit bewusst war und sie auch die Schritte kannten, mit denen sie es erreichen konnten. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollten auch angeben, inwieweit sie in die Gestaltung der Zielstellung einbezogen waren und ob Zwischenergebnisse mit den Gutachtern besprochen wurden. Außerdem wurden die Probanden danach gefragt, wie häufig sie die Arbeit an dem Text aufgeschoben hatten und wie engagiert sie diese verfolgten.

In der Auswertung der Ergebnisse zeigte sich kein Zusammenhang zwischen vorgegebenen Zielen mit Prokrastinationsverhalten, wohl aber mit geringerem Engagement. Das Prokrastinationsverhalten war dann gering, wenn die gemeinsamen Gespräche zwischen Studierenden und Betreuenden schriftlich festgehalten wurden: „Je unklarer den Teilnehmern die Aufgabenstellung erschien, desto häufiger prokrastinierten sie und desto weniger engagiert waren sie bei der Sache“, fasst Hoppe zusammen.

Daraus leitet der Psychologe allerdings nicht ab, dass die Verantwortung allein bei den Lehrenden liegt: „Eine wissenschaftliche Abschlussarbeit anzufertigen bedeutet, dass sich die Studierenden das Thema bis zu einem gewissen Grad auch selbst erschließen müssen. Sich selbst Klarheit zu verschaffen ist eine wichtige und notwendige wissenschaftliche Fertigkeit. Es kann also auch nicht darum gehen, den Studierenden alles vorzugeben.“

Häufig könnten die Studierenden aber davon profitieren, wenn die Aufgabenstellung im Vorfeld relativ konkret gefasst ist und sie ihre Zwischenstände in regelmäßigen Abständen präsentieren können. Dies könnte dazu beitragen, dass die Studierenden seltener die Abgabefristen verstreichen lassen, bessere Noten erhalten und ihren Abschluss auch häufiger in Regelstudienzeit schaffen.

Eine weitere Studie der halleschen Psychologen bekräftigt dieses Ergebnis. Dazu sind Studierende mehrerer deutscher Universitäten zu zwei Zeitpunkten befragt worden während sie ihre Abschlussarbeiten anfertigten. Es bestätigte sich, dass unklare Aufgabenstellungen zu Prokrastination führen können.

Die Psychologen der MLU wollen das Phänomen weiter untersuchen und entwickeln dafür eine Tagebuch-App für Smartphones, mit der sie gezielter verfolgen können, wann eine Aufgabe erledigt, oder wann und warum sie auf den nächsten Tag verschoben wurde.

Publikation:
Johannes Hoppe, Philipp Prokop & Renate Rau (2018) Empower, not impose!-Preventing academic procrastination, Journal of Prevention & Intervention in the Community, 46:2, 184-198, doi: 10.1080/10852352.2016.1198172