Gute Gründe zum sorgfältigen Lesen

Arbeitszeugnisse sagen vieles aus – auch zwischen den ZeilenInterview mit Walter Roscher

Nicht überall auf der Welt sind Arbeitszeugnisse üblich. In Deutschland sind sie sogar gesetzlich vorgeschrieben; jeder Arbeitnehmer hat darauf Anspruch (siehe : § 630 BGB, § 109 GewO, § 16 BBiG sowie tarifrechtliche Regelungen). Über die verschiedenen Arten von Arbeitszeugnissen, ihre Struktur und ihre nicht immer auf den ersten Blick erkennbare Aussagekraft sprach Christa Schaffmann mit Walter Roscher aus dem Vorstand der Sektion Angestellte und beamtete Psychologen im BDP.

Welche Arten von Arbeitszeugnissen gibt es, Herr Roscher?

Es gibt das einfache und das qualifizierte Arbeitszeugnis. Das einfache enthält neben den Daten zur Person nur Angaben darüber, von wann bis wann jemand eine Tätigkeit ausgeübt hat und bei welchem Unternehmen, welcher Behörde oder welcher Klinik er sie ausgeübt hat. Es hat den Charakter einer Bescheinigung und enthält keine weiteren Beschreibungen und Bewertungen, sagt also nichts darüber aus, wie eine Arbeitsleistung bewertet wird

Darüber hinaus gibt es die wesentlich wichtigeren und vor allem in akademischen Berufen auch regelhaft ausgestellten qualifizierten Zeugnisse. Sie werden oft dafür gebraucht, um sich an anderer Stelle neu zu bewerben oder sich weiter zu qualifizieren. Solche qualifizierten Zeugnisse können als End- oder als Zwischenzeugnis ausgestellt werden. Auf das Endzeugnis besteht ein Anrecht, für die Ausstellung eines Zwischenzeugnisses müssen wichtige Gründe vorliegen; ein genereller Anspruch existiert nicht.

Welche Gründe können das sein?

Ein Zwischenzeugnis empfiehlt sich z.B., wenn der bisherige Chef die Firma verlässt oder die Aufgaben sich verändern. Mitarbeiter sollten die Chance nutzen, ein auf guter Kenntnis aus langer Zusammenarbeit beruhendes Zeugnis zu bekommen.  Sinnvoll kann es auch sein, wenn jemand eine Weiterbildung erfolgreich abgeschlossen oder aus anderen Gründen besondere Fortschritte in seiner Arbeit erreicht hat. Auch bevor ein Psychologe oder Psychotherapeut sich für eine Leitungsposition bewirbt, rate ich zu einem Zwischenzeugnis.

Wodurch unterscheidet sich das qualifizierte Zwischenzeugnis vom qualifizierten End-Zeugnis?

Lediglich durch die Schlussformel. Beim Endzeugnis steht dort in der Regel „Wir bedauern sehr, dass Frau/Herr Sowieso ausscheidet und wünschen ihr/ihm für den weiteren Lebensweg alles Gute. Beim Zwischenzeugnis würde es z.B. heißen „Wir freuen uns auf eine weitere gute Zusammenarbeit mit ….“

Wie sehr hängen Form und Inhalt des Zeugnisses von der ausstellenden Person ab?

Natürlich gibt es individuelle Unterschiede im Stil, aber eine gewisse Gliederung sollte eingehalten werden. Im ersten Teil stehen persönliche Daten; Name, Geburtsdatum, Adresse, gefolgt von Angaben über den Zeitraum und Umfang der Beschäftigung sowie die Art der Tätigkeit. Wenn sich im Verlauf des Arbeitsverhältnisses der Beschäftigungsumfang geändert hat, ist dessen Erwähnung vor allem dann wichtig, wenn die Änderung mit der Aufnahme einer höherwertigen Tätigkeit einhergegangen ist.

 

Im zweiten Abschnitt geht es um das Unternehmen. Ist es eine Klinik, eine Beratungsstelle oder eine Schule, um nur einige Beispiele zu nennen. Hat die Arbeitsstelle für Psychologen z.B. eine eigene Abteilung, oder ist der Psychologe Teil eines multiprofessionellen Teams? Wie ist die psychologische Arbeit eingebunden in die Aufgaben der Klinik insgesamt? Welche Aufgaben haben an diesem Arbeitsort der psychologische Dienst beziehungsweise die Psychotherapie. Auch die Größe der Klinik, der Beratungsstelle oder des Unternehmens spielt eine Rolle, außerdem ihre/seine lokale, regionale oder bundesweite Bedeutung.

Erst im nächsten Schritt geht es um die Tätigkeit des Arbeitnehmers. Worin bestanden seine Aufgaben? Dafür lohnt es sich immer, in die Stellenbeschreibung zu schauen. Wir betonen in Beratungsgesprächen mit Sektionsmitgliedern immer wieder die Bedeutung der Stellenbeschreibung, für die es ja auch Muster gibt. Eine gute Stellenbeschreibung verhilft einem Arbeitszeugnis zu besserer Aussagekraft über die Tätigkeit/den Dienstauftrag des Mitarbeiters. Darin ist auch gewichtet, zu wie viel Prozent der Mitarbeiter welche Arbeiten erledigt hat. Wichtige Anhaltspunkte liefert auch das Berufsbild des Psychologen/Psychotherapeuten.

Können Sie das an einem Beispiel deutlich machen?

Eine entsprechende Formulierung könnte beispielsweise lauten: „Der Mitarbeiter ist bei uns eingesetzt in der Diagnostik von neurologischen Erkrankungen. Dieses Arbeitsfeld stellt einen wesentlichen Teil seiner Tätigkeit dar. Darüber hinaus hat er noch Gespräche mit den Patienten zu führen und sie bei der Bewältigung ihres Krankheitsgeschehens zu unterstützen. Auch das gehört in relevantem Umfang zu seinem Aufgabenspektrum.

Erwähnt werden sollte in diesem Kontext auch, wenn jemand z.B. neben seiner Tätigkeit beispielsweise  in einer Beratungsstelle auch im Jugendhilfeausschuss mitarbeitet oder in anderen Gremien, Arbeitskreisen z.B. zu ‚Gewalt in der Familie‘ im Auftrag des Dienst- oder Arbeitgebers oder mit dessen ausdrücklicher Zustimmung vertreten ist.

D.h., die Tätigkeitsbeschreibung im Zeugnis geht über die unmittelbare Tätigkeit im Unternehmen und die Stellenbeschreibung hinaus?

Ja, wenn die Mitwirkung an anderer Stelle im Zusammenhang mit der eigentlichen Arbeit steht, zum Kompetenzgewinn für den Mitarbeiter beiträgt, ggf. auch für das Team oder die gesamte Einrichtung von Bedeutung ist. Anders gesagt: Neben rein fachlichen Kompetenzen gehören in das Arbeitszeugnis auch solche politischen Aufgaben. Keine Erwähnung findet dagegen das Engagement in Gewerkschaften, Berufsverbänden oder Parteien.

Ins Zeugnis gehören zudem die erworbene akademische Qualifikation genauso wie Fort- und Weiterbildungen. Es muss angegeben werden, auf welchen Gebieten eine Weiterbildung erfolgt ist, z.B. Sexualtherapie, Suchttherapie, neuropsychologische Fortbildung o.a. Daraus lassen sich Arbeitsschwerpunkte und das Kompetenzspektrum des Mitarbeiters ableiten.

Das klingt nach einem erheblichen Umfang. Und dabei haben Sie bisher eine weitere wichtige Passage – die Beurteilung der Leistung des Mitarbeiters – noch gar nicht erwähnt.

Zeugnisse sind in der Regel eineinhalb bis zweieinhalb Seiten lang. Ein Zeugnis unter einer Seite Text ist kein gutes Zeugnis.

Reden wir nun über die Beschreibung der Person. Sie ist immer positiv. Wer etwas Negatives ausdrücken will, kann das nur durch Weglassen tun.

Wenn z.B. die stets vertrauensvolle Zusammenarbeit einer Mitarbeiterin mit den Kollegen unterstrichen wird, die mit den Vorgesetzten  aber keine Erwähnung findet, so deutet das auf Probleme in der Kooperation mit der Führungsebene hin. Auch eine Formulierung wie „Herr B. ist immer bemüht“ würdigt nicht etwa Bemühungen, sondern lässt den Schluss zu, dass die Bemühungen durchaus nicht immer zielführend oder erfolgreich sind. „Er war engagiert“ beschreibt das Engagement, sagt aber nichts über den dadurch erreichten Erfolg oder das Arbeitsergebnis. Das Wort „stets“ ist wichtig, um die kontinuierliche Qualität einer Leistung zu unterstreichen. Sein Fehlen deutet auf eine mal ansteigende, mal sinkende Leistungskurve hin.

Welche Möglichkeiten zur positiven Hervorhebung bestehen?

Positive Hervorhebungen sind möglich, indem man einer Mitarbeiterin z.B. bescheinigt, dass sie etwas im Unterschied zu anderen Kollegen besonders ausgezeichnet hat, z.B. der Erfolg im Umgang mit besonders schwierigen Fällen. „Mit ihrer Persönlichkeit verstand sie es stets ausgleichend in Konfliktsituationen zu wirken“, könnte auch eine positive Hervorhebung sein. Das gleiche gilt für eine Formulierung wie: „Herr P. ist aufgefallen durch seine engagierte Tätigkeit im Rahmen unserer Konzeptentwicklung. Er ist bei Patienten sehr beliebt.“ Das sind gerade für Psychologen und Psychotherapeuten wichtige Punkte.

Die Zusammenfassung aller genannten Punkte geht in eine Note ein. Hat jemand seine Arbeit „zur vollen Zufriedenheit“ erledigt, so steht das für Note 3. Eine 2 wird dadurch ausgedrückt, dass man schreibt: „Frau G. arbeitete zu unserer vollsten Zufriedenheit“. Wollte man Frau G. sogar die Note 1 geben, hieße es: „Frau G. arbeitete stets zu unserer vollsten Zufriedenheit.“ Das Zeugnis endet mit der eingangs bereits erwähnten Schlussformel. In ihr muss der Arbeitgeber sein Bedauern ausdrücken, dass jemand das Unternehmen verlässt. Will er auf das Bedauern verzichten, entscheidet er sich vielleicht für einen Satz wie „Herr W. verlässt uns, um von nun an für … zu arbeiten.“ Das Fehlen des Bedauerns gilt aber bereits als negative Bewertung.

Was sollte man tun, wenn man mit seinem Zeugnis oder einzelnen Passagen darin nicht einverstanden ist?

Ich rate dazu, mit dem Verfasser zu reden und konkrete Änderungswünsche anzusprechen. Der Mitarbeiter hat Anspruch darauf, dass der Verantwortliche das Zeugnis daraufhin überarbeitet, er hat aber keinen Anspruch auf eine Formulierung seiner eigenen Wahl. In der Regel macht der Arbeitgeber Vorschläge für Änderungen, zu denen er bereit ist. Die erste Version eines Zeugnisses wird häufig nochmals diskutiert, zu Klagen kommt es dagegen sehr selten. In vielen Fällen spricht der Personalverantwortliche (in den meisten Fällen der Verfasser des Zeugnisses) mit dem Mitarbeiter schon bevor er das Zeugnis schreibt. In so einem Gespräch sollte man nicht zögern, die Punkte anzusprechen, die einem besonders wichtig sind.

Lohnt sich die Beratung mit der Mitarbeitervertretung und/oder der Gewerkschaft im Fall von Unstimmigkeiten über das Zeugnis?

Beides ist möglich. Die Mitarbeitervertretung/Personalrat  kann aber nur vermittelnd tätig werden. Bei der Gewerkschaft würde die Rechtsabteilung das Zeugnis überprüfen und danach das Gewerkschaftsmitglied beraten.

Das wird oftmals gemacht als eine Vorstufe zur Klage. Die Chance für eine erfolgreiche Klage besteht vor allem dann, wenn in den verschiedenen Passagen des Zeugnisses widersprüchliche Aussagen auftauchen, jemand z.B. in der Bewertung seiner Tätigkeiten überschwänglich gelobt und am Ende mit der Note 3 bewertet wird.