Längst überfällig – jetzt Uni-Realität

Wie einige Hochschulen Studierende für die Arbeitswelt fit machen

Ein wichtiges und gesetzlich verankertes Ziel von Hochschulstudien besteht darin, dass die Absolventen nach Abschluss des Studiums eine qualifizierte Erwerbstätigkeit aufnehmen können. Dass dazu auch Kenntnisse (im Idealfall berufsfeldbezogene Kenntnisse) der sich ständig verändernden Arbeitswelt gehören, begreifen immer mehr Hochschulen. Absolventen begreifen das auch, aber leider oft erst, wenn sie einen Arbeitsvertrag mit vielen Paragraphen lesen und nur teilweise verstehen oder ihre Unerfahrenheit irgendwo ausgenutzt wurde.

Gute Erfahrungen in Braunschweig, Bremen und Göttingen

Mehrere Universitäten und Hochschulen haben seit 2015/2016 erste gute Erfahrungen mit einem Modulangebot „Kompetenzen für die Arbeitswelt“ (KofA) gemacht, das von einem bildungspolitischen Arbeitskreis der Gewerkschaft ver.di unter wissenschaftlicher Begleitung von Prof. Dr. Thomas Haipeter (Universität Duisburg-Essen) und Dr. Kerstin Budde (New York University, Berlin) entwickelt wurde. Zu ihnen gehören die TU Braunschweig und die dortige Hochschule für Bildende Künste, die Universitäten Bremen und Göttingen, die Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften sowie die Jade Hochschule Wilhelmshaven und die Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde.

Orientierungshilfe auf einem sich ständig verändernden Arbeitsmarkt

Die Universitäten Tübingen, Erlangen-Nürnberg und Kassel sowie die FHS Aachen planen, das Modul im Wintersemester 2017/2018 in ihr Studienangebot aufzunehmen. Die Psychologische Hochschule Berlin ist noch nicht dabei, aber was nicht ist, kann ja noch werden. Renate Singvogel, Bereichsleiterin Bildungs- und Hochschulpolitik bei ver.di, beschreibt das didaktische Konzept so: „Mit dem Modul ‚Arbeitsbeziehungen in Deutschland – Kompetenzen für den Arbeitsmarkt‘ sollen Studierende auf ihre Erwerbstätigkeit vorbereitet werden. Das Modul umfasst die Grundlagen der Arbeitsbeziehungen, des Arbeitsrechts und arbeitspolitische Entwicklungstrends. Es beschäftigt sich mit den kollektiven Akteuren und der gesellschaftlichen Organisation der Arbeit.“ Auf Nachfrage versichert sie, es gehe nicht um ein Training für künftige Betriebsräte. „Ziel ist es, wissenschaftlich fundierte Grundlagen zu vermitteln, mit deren Hilfe Studierende später die Rahmenbedingungen der Arbeitswelt, ihre künftige Situation als Erwerbstätige oder auch Selbstständige und die sie betreffenden Herausforderungen am Arbeitsmarkt verstehen, reflektieren und Handlungsoptionen entwickeln können.“ Junge Akademiker bekämen immer öfter befristete Arbeitsverträge angeboten; Wirtschaft und Politik redeten viel über Industrie 4.0. Aber was bedeutet das konkret für den eigenen Start ins Berufsleben? Wie können Kompetenzen für die Arbeitswelt auch darüber hinaus bei der eigenen Orientierung, bei der Vermeidung von Fehlern und bei Gesprächen mit Vorgesetzten oder Kooperationspartnern helfen? Darauf will das Modul Antworten geben. Unterstützt werden die Hochschulen bei der Umsetzung von ver.di mit Lehrmaterialien und einer Online-Plattform www.kofa.verdi.de für Dozentinnen und Dozenten.

Studierende schätzen nicht nur ECTS-Punkte des Moduls

Für das Modul können zwischen drei und fünf ECTS-Punkte erworben werden – ein von den Studentinnen und Studenten sehr geschätzter Aspekt. Besonders gefällt ihnen auch die Möglichkeit von Rollenspielen, in denen Verhandlungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber simuliert werden und dabei die Rechte und Interessen beider Seiten zur Sprache kommen. So lässt sich das erworbene Wissen gleich praktisch ausprobieren.
Wo und wie das Modul angeboten werden kann, ist an jeder Hochschule zu prüfen. Es kann sich an alle Studierenden oder an einzelne Studiengänge richten. Fachspezifische Anpassungen sind möglich. An der  Braunschweiger Hochschule hat das Modul seinen Platz in den sogenannten „fächerübergreifenden Handlungskompetenzen“ gefunden. Vertieft wurde auf Wunsch der Braunschweiger für alle Seminarteilnehmer das Thema „Selbstständigkeit“. Auch an der Uni Bremen wurde das Modul im Bereich „General Studies“ platziert und steht damit auch den Psychologiestudierenden offen. Laut Evaluationsbericht schätzten die Studenten die Exkursionen z. B. zum Arbeitsgericht und die Einladung externer Gäste ebenso wie die abwechslungsreiche, lebendige Seminargestaltung. Insbesondere das arbeitspolitische Blitzlicht wurde als inhaltliche Bereicherung der Lehrveranstaltung wahrgenommen. Eberswalde ist dagegen ein Beispiel für ein fachbezogenes Studienangebot, dort eingebettet in den Bereich „Tourismus, Umwelt und Gesellschaft“.

Interesse an Zusammenarbeit mit PHB und BDP

Im Gespräch mit Renate Singvogel und Melanie Wehrheim, Fachbereich Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen, Bereichsleiterin Berufspolitik, signalisierten beide Gesprächspartnerinnen das Interesse an einer Zusammenarbeit mit der Psychologischen Hochschule Berlin sowie mit dem BDP im Hinblick auf eine fachbezogene Anpassung des Moduls für künftige Psychologinnen und Psychologen sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten. Positiv nahm auch die Sektionsvorsitzende der Sektion Angestellte und Beamtete Psychologen, Clivia Langer, die Existenz einer solchen Chance für Studierende auf. „Viele Konflikte, zu denen die Sektion um Unterstützung angefragt wird, würden anders ablaufen und ausgehen, wenn auf Arbeitnehmerseite mehr Kompetenzen für die Arbeitswelt vorhanden wären. Damit sollte man so früh wie möglich beginnen und nicht erst beim Auftreten des ersten ernsten Problems“, so Langer.

Christa Schaffmann