Schicksalsgläubig durch instabile Familienverhältnisse?

Die Überzeugung eines Menschen, über sein Leben selbst bestimmen zu können, wird in der Psychologie als Kontrollüberzeugung bezeichnet. Um herauszufinden, wie sich instabile Familienzusammensetzungen auf die Kontrollüberzeugung von Jugendlichen auswirken, haben die DIW-Wissenschaftlerinnen Frauke Peter und C. Katharina Spieß Angaben von knapp 1.000 Jugendlichen analysiert, die zwischen 2001 und 2012 im Rahmen der Langzeitstudie SOEP befragt wurden. In Ihren Analysen hatten die Wissenschaftlerinnen auch andere mögliche Ursachen für den Verlust der Kontrollüberzeugung berücksichtigt. So konnten sie ausschließen, dass die gefundenen Effekte auf die Kontrollüberzeugung auf Veränderungen im Einkommen der Familie, die Persönlichkeit oder die Bildung der Mutter zurückzuführen sind.

Als Indikator für eine verringerte Stabilität der Familienverhältnisse werteten die Forscherinnen Partnerwechsel der Mutter, etwa wenn nach einer Trennung der Eltern ein neuer Partner in den Haushalt der Mutter einzog und sich dadurch die Familienkonstellation änderte. Um die Kontrollüberzeugung zu messen, analysierten die Forscherinnen Angaben der Befragten über ihre Einstellungen zum Leben und zur Zukunft. Im SOEP antworten die Befragten zum Beispiel darauf, ob sie glauben, dass es von ihnen selbst abhängt, wie ihr Leben verläuft. Außerdem geben sie an, ob sie denken, dass Erfolg im Leben in erster Linie eine Frage von Schicksal oder Glück ist.

Die SOEP-Daten zeigten: 15 Prozent der befragten Jugendlichen haben im Alter zwischen zwei und 17 Jahren einen Partnerwechsel der Mutter miterlebt. Sechs Prozent, also etwa jeder Zwanzigste, haben diese Erfahrung mehrfach gemacht. Im Alter von 17 Jahren waren diese Jugendlichen insgesamt betrachtet signifikant weniger davon überzeugt, selbst über ihr Leben bestimmen zu können als andere. „Wenn die betroffenen Kinder und Jugendlichen diese Erfahrung nur einmal gemacht haben, wirkte sich das noch nicht auf ihre Kontrollüberzeugung aus“, sagt C. Katharina Spieß. „Bei Kindern, die zwei Mal oder häufiger Veränderungen in der Familienkonstellation erlebt haben, verringerte sich dagegen das Gefühl, selbst über ihr Leben bestimmen zu können.“

Auch das Alter, in dem Kinder veränderte Familienverhältnisse erleben, hat offenbar Einfluss auf die Kontrollüberzeugung: Bei den befragten Jugendlichen, die im Alter zwischen zehn und 17 Jahren Instabilität erlebt haben, verringerte sich die Kontrollüberzeugung stärker als bei denen, die diese Erfahrung in jüngeren Jahren, im Alter zwischen zwei und neun Jahren, gemacht haben. Die Effekte sind in ihrer Größe vergleichbar mit den Auswirkungen einer erlebten Arbeitslosigkeit der Mutter, welche ebenfalls dazu führt, dass Jugendliche schicksalsgläubiger werden.

Eine verringerte Kontrollüberzeugung kann auch langfristige Folgen haben. So haben andere Studien auf Basis der SOEP-Daten gezeigt, dass Arbeitslose mit einer geringeren Kontrollüberzeugung länger als andere suchen, bis sie einen neuen Job gefunden haben. Die Autorinnen empfehlen daher, dass Kinder und Jugendliche in Kindertageseinrichtungen und Schulen in der Entwicklung ihrer nicht-kognitiven Fähigkeiten besonders unterstützt werden, wenn sich ihre Eltern trennen. Lehrerinnen und Lehrer sollten den Glauben der Kinder, ihr Leben selbst in der Hand zu haben, stärken. „So werden nicht nur Persönlichkeiten gestärkt, sondern so können indirekt und langfristig auch Ausgaben für Arbeitsmarkt, Bildung und Gesundheit verringert werden“, sagt C. Katharina Spieß.