Psychologischer Effekt reduziert Gedränge

Risiken bei Konzert- und Sportveranstaltungen sinken durch künstliche Einengungen

Dichtes Getümmel am Eingang von Konzerten und Sportveranstaltungen kann schnell in gefährliche Situationen münden. In solchen Fällen können künstliche Einengungen durch Absperrgitter helfen, Gedränge zu vermeiden, wie Experimente von Jülicher Forschern zeigen. Der beobachtete Effekt ist rein physikalisch nicht zu erklären und nur zu begreifen, wenn man zusätzlich psychologische Aspekte berücksichtigt, wie sich bei der interdisziplinären Zusammenarbeit von Wissenschaftlern des Forschungszentrums Jülich und der Ruhr-Universität Bochum erwies.

Physiker und Ingenieure nutzen normalerweise rein physikalische Modelle, wenn es darum geht, die Dynamik von Menschengruppen am Computer zu simulieren. Die Ansätze gleichen Methoden, mit denen sich berechnen lässt, wie sich Partikel oder Teilchen in einem Gas oder einer Flüssigkeit verteilen. Doch sie allein reichen nicht aus, um zu verstehen, warum Absperrgitter am Eingang von Großveranstaltungen einen so starken Einfluss auf die andrängenden Menschenmassen ausüben.

„Den Ausgangspunkt bildeten Experimente mit Probanden, bei denen uns sehr unterschiedliche Personendichten aufgefallen sind“, erklärt Prof. Armin Seyfried vom Jülich Supercomputing Centre (JSC). Die Forscher hatten im Rahmen des Projekts BaSiGo im Juni 2013 unter anderem untersucht, wie sich die räumliche Gestaltung des Eingangsbereichs auf das Verhalten der Teilnehmer auswirkt. Insbesondere bei Festivals, Konzerten und Sportveranstaltungen können vor dem Einlass schnell bedrohliche Situationen entstehen, wenn erwartungsvolle Fans unkontrolliert nach vorne rücken.

„Wir hatten 270 Probanden aufgefordert, sich vorzustellen, dass sie vor dem Eingang eines Rockkonzerts stehen und eine der letzten Karten ergattern wollen“, erinnert sich Armin Seyfried. Im ersten Durchgang konnten die Probanden ungehindert auf den Einlass zuströmen, vor dem sich schnell eine halbkreisförmige Menschentraube bildete. Im zweiten Durchgang befanden sich die Teilnehmer dagegen in einem von Absperrgittern umgebenen Korridor, in dem sich im Verlauf des Experiments maximal knapp 6 statt 11 Personen pro Quadratmeter tummelten.

Überraschenderweise fiel das Gedränge aber nicht nur direkt am Eingang viel geringer aus, sondern auch schon in dem Bereich davor. „Dieses Ergebnis lässt sich mit keinem physikalischen Modell erklären“, so Seyfried. „Man muss davon ausgehen, dass die lockere Ansammlung im Korridor auf psychologische Aspekte zurückgeht, in dem Sinne, dass dabei Regeln befolgt werden. Diese Regeln existieren aber nur in unseren Köpfen“, so der promovierte Physiker.

Ähnlich wie an der Supermarkt-Kasse oder am Flughafenschalter greifen demnach soziale Normen, aufgrund derer Menschen geordnet Schlange stehen und nicht versuchen, sich möglichst schnell einen Weg zum Ziel zu bahnen. „Dass die Personen innerhalb der Absperrgitter nicht drängeln, ist schon sehr interessant, vor allem, wenn man bedenkt, dass sie vorab noch explizit dazu aufgefordert wurden, sich zu beeilen“, betont die Sozialpsychologin Dr. Anna Sieben von der Ruhr-Universität Bochum.

Um mehr über die vorherrschenden Normen und Strategien zu erfahren, spielte sie anderen Probanden nachträglich Bilder und Videos von den Experimenten vor. „Eine mögliche Erklärung für dieses Verhalten hängt mit Unterschieden in der Wahrnehmung der Gerechtigkeit zusammen“, erläutert Anna Sieben. „Die meisten Menschen scheinen den Einlass durch den Korridor als gerechter einzuschätzen. Sie glauben, wer sich dort zuerst anstellt, kommt auch zuerst rein. Die Frage, ob man drängelt oder nicht, hat also möglicherweise etwas mit dem Vertrauen in die Gerechtigkeit des Einlassverfahrens zu tun“, so Anna Sieben. Dabei stimmt die wahrgenommene Gerechtigkeit nicht zwangsläufig mit objektiven Messungen überein.

Kontakt

Dr. Anna Sieben
Lehrstuhl für Sozialtheorie und Sozialpsychologie, Ruhr-Universität Bochum
E Anna.Sieben@rub.de