Chaotische Umgebung beeinflusst emotionales Klima nicht negativ
In Familien von Kindern mit ADHS beobachten Forscher häufiger inadäquates Erziehungsverhalten, ein negatives emotionales Klima und Haushaltschaos. Wie diese Faktoren zusammenhängen, hat eine Arbeitsgruppe der Goethe-Universität Frankfurt/Main jetzt untersucht. „Wir sind davon ausgegangen, dass die Eltern von Kindern mit ADHS es wegen der Symptome ihrer Kinder schwer haben, Strukturen und Routinen aufrecht zu erhalten,“ erklärt Dr. Andrea Wirth, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der pädagogischen Psychologie an der Goethe-Universität. Zudem vermuteten die Forscher eine negative Wirkung des Haushaltschaos auf das emotionale Klima und das Elternverhalt.
In die Studie gingen Daten von insgesamt 84 Kindern im Alter von 7 bis 13 Jahren ein, von denen 31 Kinder der ADHS-Gruppe und 53 Kinder der Kontrollgruppe zugewiesen wurden. Das Erziehungsverhalten wurde mit Hilfe eines standardisierten Fragenbogens erfasst, in dem abgefragt wird, wie intensiv sich Eltern um ihre Kinder kümmern, sie loben oder kritisieren, wie konsistent ihre Erziehung ist und ob sie körperlich strafen. Um das familiäre emotionale Klima zu erfassen, forderten die Psychologen ein Elternteil auf, fünf Minuten über das Kind zu sprechen und die Persönlichkeit des Kindes sowie die Beziehung zum Kind zu beschreiben. Das Haushaltschaos wurde wiederum mit einem standardisierten Test erhoben.
Erwartungsgemäß zeigten die Eltern von Kindern mit ADHS mehr inadäquates Erziehungsverhalten, kritisierten ihre Kinder häufiger und berichteten über ein höheres Haushaltschaos als die Eltern der Kontrollkinder. Zur Überraschung der Psychologen schätzten Eltern von Kindern mit ADHS aber die Beziehung zu ihren Kindern als positiver ein als Eltern von Kindern ohne ADHS. Die Forscher vermuten als möglichen Grund unter anderem, dass einige der teilnehmenden Familien bereits in eine Therapie eingebunden waren, da sowohl für medikamentöse als auch für verhaltenstherapeutische Interventionen Verbesserungen der Eltern-Kind-Beziehung nachgewiesen sind.
Die genaue Beziehung der drei Konstrukte wurde mit Hilfe von statistischen Analysen (Mediationsanalysen) untersucht. „Haushaltschaos scheint so etwas wie ein Mechanismus zu sein, durch den die Symptome der Kinder mit ADHS sich negativ auf das Erziehungsverhalten der Eltern auswirken“, so Andrea Wirth. Jedoch scheint eine chaotische Umgebung das emotionale Klima in der Familie nicht zu beeinträchtigen. Dieses Ergebnis steht im Widerspruch zu früheren Studien, die einen Zusammenhang zwischen inadäquatem Elternverhalten und emotionalem Klima festgestellt hatten. Andrea Wirth erklärt sich das so: „Ein sehr chaotischer und unstrukturierter Haushalt, der durch die ADHS-Symptomatik der Kinder mitbedingt ist, erschwert es den Eltern, autoritativ zu erziehen. Gleichzeitig ist anzunehmen, dass die Eltern trotz des herrschenden Chaos ihre Kinder mögen, positiv über sie sprechen und es genießen, Zeit mit ihnen zu verbringen.“
Künftig will die Arbeitsgruppe am LOEWE-Zentrum Idea, dem die Psychologin angehört, Empfehlungen für Eltern, die ihnen helfen sollen, das Familienleben zu ordnen, Routinen und Rituale zu stärken und die Organisation des Familienalltags zu verbessern. Gedacht ist u.a. daran, bei den Hausaufgaben Radio und Fernseher auszuschalten, Telefongespräche hinter geschlossenen Türen führen, Gäste nur zu bestimmten Zeiten zu empfangen und Hausaufgaben alleine in einem ruhigen Raum zu machen.
Kontakt:
Dr. Andrea Wirth, Abteilung Pädagogische Psychologie, Fachbereich 5, Campus Westend
T (069) 798-35398
E wirth@psych.uni-frankfurt.de