Ulmer Psychologen gehen Kooperationsdilemma auf den Grund

Demokratische Bestrafung erhöht Bereitschaft zur Zusammenarbeit und Zufriedenheit

Jeder kennt das Kooperationsdilemma in Gruppen: Nicht alle verhalten sich kooperativ. Fördern lässt sich kooperatives Verhalten durch Bestrafung. Doch „Egoismus ist eine starke Triebfeder“, sagt Stefan Pfattheicher, Sozialpsychologe an der Universität Ulm und Hauptautor einer neuen Studie. Es gebe immer wieder Trittbrettfahrer, die sich zurücklehnen und anderen das Arbeiten überlassen. Dieses Verhalten sei nicht nur für die Zusammenarbeit in Teams ein Problem, sondern auch für ganze Gesellschaften. „Manche hinterziehen Steuern, genießen aber die Leistungen des Staates. Manche Eltern lassen ihre Kinder nicht impfen, profitieren aber von der reduzierten Ansteckungsgefahr geimpfter Kinder.“

Frühere Forschungen hatten bereits gezeigt, dass sich die Kooperationsquote erheblich erhöhen lässt, wenn man Trittbrettfahrer bestraft. Das Ulmer Forschungsteam hat nun die Wirkung der seinerzeit angewandten Form der Sanktionierung mit der einer anderen Variante – der sogenannten „demokratischen Bestrafung“ – verglichen. Dabei entscheiden alle Gruppenmitglieder gemeinsam darüber, ob ein anderes Mitglied bestraft wird oder nicht. Wenn die Mehrheit der Mitglieder für die Bestrafung ist, wird sie ausgeführt – kommt die Mehrheit nicht zustande, erfolgt keine Bestrafung.

Gemeinsam mit Robert Böhm und Rebekka Kesberg hat Pfattheicher ein klassisches Paradigma aus der Spieltheorie eingesetzt, das die eingangs beschriebenen Beispiele von nicht-kooperativem Verhalten simuliert. In ihrer Versuchsanordnung bildeten vier Personen eine virtuelle Gruppe. Jeder Mitspieler saß in einem eigenen Raum, sah und hörte die anderen Gruppenmitglieder nicht und konnte sich nicht mit ihnen absprechen. Jedes Gruppenmitglied verfügte über einen Geldbetrag, von dem es beliebig viel in das Gemeinschaftsgut investieren konnte. Den nicht investierten Betrag konnte er behalten. Die Summe aller Investitionen wurde am Ende vom Versuchsleiter vervielfacht und der Gesamtbetrag dann auf alle Mitspieler gleichmäßig verteilt. Es lohnte sich also prinzipiell, zu kooperieren. Allerdings profitierten diejenigen, die nichts oder nur wenig in das Gemeinschaftsgut investiert hatten mehr als die anderen – ähnlich wie Steuerhinterzieher im echten Leben.

Danach untersuchten die Forscher, wie sich unterschiedliche Bestrafungsformen auf das Kooperationsverhalten auswirken und wie sie von den Mitspielern erlebt werden. Dabei zeigte sich zum einen, dass alleine die Möglichkeit, Trittbrettfahrer bestrafen zu können, die Kooperationsraten signifikant erhöhte. Dies bestätigt Befunde aus früheren Arbeiten. Neu ist die Beobachtung, dass ein demokratisches Bestrafungssystem zu den höchsten Kooperationsraten führte ‒ und das, obwohl in einem demokratischen Bestrafungssystem die Strafen selbst durchschnittlich niedriger ausfallen als in einem Bestrafungssystem ohne demokratische Entscheidungsfindung. „Das demokratische Bestrafungssystem führt zu einer Maximierung des Gesamtertrags für alle Beteiligten“, schlussfolgert Stefan Pfattheicher.
Nach jeder Spielvariante bewerteten die Versuchspersonen außerdem ihre Zufriedenheit und ihr Vertrauen in die anderen Gruppenmitglieder und wie fair sie das Spiel empfunden haben. „Hier fanden wir sehr bemerkenswert, dass sich die Probanden mit der demokratischen Bestrafung auch zufriedener fühlten und einander mehr vertrauten“, sagt Stefan Pfattheicher. Die Befunde der Studie belegten also, dass Bestrafungssysteme die Gefahr von Trittbrettfahren reduzieren, und zwar insbesondere dann, wenn sich die Gruppe demokratisch entschieden hat, ob und wie hart sie bestrafen will. „Für soziale Gemeinschaften bedeutet das: Sanktionen ‒ etwa für Schwarzfahren im öffentlichen Verkehr, für Steuerhinterziehung oder für Versicherungsbetrug ‒ sind wirksam, aber noch wirksamer sind sie, wenn diejenigen, die sich kooperativ verhalten, ein Mitspracherecht bei der Entscheidung über die Strafe bekommen.“

Originalstudie:
Pfattheicher, S., Böhm, R., & Kesberg, R. (2018). The advantage of democratic peer punishment in sustaining cooperation within groups. Journal of Behavioral Decision Making. DOI: 10.1002/bdm.2050

Open Science:
Die Instruktionen für die Versuchspersonen und auch die Daten der Studie sind beim Open Science Framework abrufbar (https://osf.io/4khpj).

Kontakt:
Dr. Stefan Pfattheicher, Abteilung Sozialpsychologie Universität Ulm
E stefan.pfattheicher@uni-ulm.de