Tauben beim Multitasking besser als Menschen

Tauben können genauso schnell wie Menschen zwischen zwei Aufgaben hin und her wechseln – in manchen Situationen sind sie sogar noch schneller. Zu diesem Ergebnis kommen Biopsychologen, nachdem sie Vögel und Menschen mit dem gleichen Verhaltensexperiment getestet haben. Als Ursache für die leichten Vorteile der Vögel beim Multitasking vermuten die Autoren die höhere Neuronendichte im Gehirn der Tauben.

In der Zeitschrift „Current Biology“ berichten Dr. Sara Letzner und Prof. Dr. Dr. h. c. Onur Güntürkün von der Ruhr-Universität Bochum die Ergebnisse gemeinsam mit Prof. Dr. Christian Beste vom Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden über ihre Forschungen.

„Lange Zeit hat man geglaubt, dass die sechsschichtige Großhirnrinde von Säugern der anatomische Ursprung der kognitiven Fähigkeiten ist“, sagt Sara Letzner. Vögel besitzen eine solche Struktur aber nicht. „Also kann der Aufbau des Säuger-Kortex auch nicht die Voraussetzung für komplexe kognitive Funktionen wie etwa Multitasking sein“, so Letzner weiter. Der Gehirnmantel von Vögeln, das Pallium, besitzt zwar keine Schichten, die mit dem menschlichen Kortex vergleichbar sind. Dafür sind die Neuronen darin dichter gepackt als in der menschlichen Großhirnrinde: Pro Kubikmillimeter Gehirn besitzen zum Beispiel Tauben sechsmal mehr Nervenzellen als Menschen. Dadurch ist die durchschnittliche Distanz zwischen zwei Neuronen bei Tauben nur halb so groß wie bei Menschen. Da die Signale von Nervenzellen bei Vögeln und Säugetieren gleich schnell weitergeleitet werden, hatten die Forscher angenommen, dass im Vogelgehirn Informationen schneller verarbeitet werden können als bei Säugern.

Diese Hypothese prüften sie mit einer Multitasking-Aufgabe, die 15 Menschen und 12 Tauben absolvierten. Die menschlichen und tierischen Probanden mussten im Versuch eine gerade ablaufende Handlung stoppen und so schnell wie möglich zu einer Alternativhandlung wechseln. Der Wechsel zur Alternativhandlung fand dabei entweder gleichzeitig mit dem Abstoppen der ersten Handlung statt oder mit einer kurzen Verzögerung von 300 Millisekunden.

Im ersten Fall findet echtes Multitasking statt, es laufen also zwei Prozesse parallel im Gehirn ab: nämlich das Abstoppen der ersten Handlung und der Wechsel zur Alternativhandlung. Sowohl Tauben als auch Menschen werden durch die Doppelbelastung dabei in gleichem Maße langsamer.

Im zweiten Fall – Wechsel zur Alternativhandlung nach Verzögerung – ändern sich aber die Abläufe im Gehirn: Die zwei Prozesse, also das Stoppen der ersten Handlung und der Wechsel zur zweiten Handlung, wechseln sich wie bei einem Pingpongspiel ab. Dafür müssen die Gruppen von Nervenzellen, die die beiden Prozesse kontrollieren, permanent Signale hin und her schicken. Die Forscherinnen und Forscher vermuteten, dass Tauben dabei aufgrund der größeren Dichte der Nervenzellen im Vorteil sein müssten. Tatsächlich waren sie 250 Millisekunden schneller als Menschen.

„In der kognitiven Neurowissenschaft ist es schon länger ein Rätsel, wie Vögel mit so kleinen Gehirnen und ohne einen Kortex so schlau sein können, dass einige von ihnen, etwa Krähen und Papageien, es kognitiv mit Schimpansen aufnehmen können“, sagt Letzner. Die Ergebnisse der aktuellen Studie geben eine Teilantwort: Gerade durch das kleine, aber mit Nervenzellen dicht gepackte Gehirn reduzieren Vögel die Verarbeitungszeiten bei Aufgaben, die eine schnelle Interaktion zwischen Gruppen von Neuronen erfordern.
Originalveröffentlichung
Sara Letzner, Onur Güntürkün, Christian Beste: How birds outperform humans in multi-component behavior, in: Current Biology, 2017, DOI: 10.1016/j.cub.2017.07.056

Kontakte

Dr. Sara Letzner, Abteilung Biopsychologie Fakultät für Psychologie, Ruhr-Universität Bochum
T 0234 – 302 4917, 0234 – 32 24634
E sara.letzner@rub.de

Prof. Dr. Onur Güntürkün, Abteilung Biopsychologie Fakultät für Psychologie, Ruhr-Universität Bochum
T 0234 – 32 26213
E onur.guentuerkuen@rub.de

Prof. Dr. Christian Beste, Kognitive Neurophysiologie, Klinik für Kinder und Jugendpsychiatrie
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Technische Universität Dresden
T 0351 – 458 7072
E christian.beste@uniklinikum-dresden.de

Konstanzer Psychologen weisen Symmetrieerkennung von Tauben nach

Noch auf einem weiteren Gebiet leisten Tauben Erstaunliches. Psychologen der Universität Konstanz um Prof. em. Dr. Juan D. Delius weisen nach, dass Tauben ein Verständnis für Symmetrie besitzen und Symmetrien erkennen können. Die Forschung, die im November 2017 in der Wissenschaftszeitschrift PLOS ONE online veröffentlicht wurde, schließt grundlegende Erkenntnisse zum visuellen Wahrnehmungsvermögen von Tauben mit ein. Ein Ziel der Forscher bestand darin, widersprüchliche Ergebnisse aus vorhergehenden Taubenstudien mehrerer Forschergruppen zu klären.

„Symmetrieerkennungsfähigkeiten werden bei Sehsystemen – auch künstlichen, elektronischen – für die Umwandlung von zweidimensionalen Netzhautabbildungen in realistischere dreidimensionale Vorstellungen eine besondere Bedeutung beigemessen“, erläutert Juan D. Delius. „Für Tauben mag die Fähigkeit – ähnlich wie bei anderen Vogelarten – bei der Nahrungssuche auf optisch unruhigen Hintergründen und auch bei der Partnerwahl wichtig sein“, schlussfolgert der Biopsychologe.

Juan D. Delius und sein Team trainierten die Tauben zunächst darauf, auf symmetrische Schwarz-Weiß-Muster zu picken. Den Tauben wurden hierzu sowohl symmetrische als auch asymmetrische Grafiken auf Bildschirmen gezeigt. Pickten sie auf symmetrische Muster, wurden sie mit Futter belohnt. Eine zweite Gruppe von Tauben wurde nach demselben Schema auf asymmetrische Muster trainiert.

Im zweiten Schritt tauschten die Forscherinnen und Forscher nun die Grafiken gegen neue, unbekannte Muster aus, die aber ebenfalls entweder symmetrisch oder asymmetrisch angeordnet waren. Dies wurde getan, damit die Tauben nicht einfach die spezifischen Grafiken auswendig lernen konnten, sondern das dahinterliegende Prinzip der Symmetrie beziehungsweise Asymmetrie erkennen mussten. Den Tauben gelang es mit einer Trefferquote von rund 80 Prozent, die symmetrischen Muster von den asymmetrischen korrekt zu unterscheiden.

Als Grundlage für die Studie betrieben Delius und sein Team eine aufwändige Hintergrundforschung zum Wahrnehmungsvermögen von Tauben und insbesondere zur Frage, wie sie Bildschirmbilder wahrnehmen. Tauben besitzen eine andere Farbwahrnehmung als Menschen und sehen „in höheren Frequenzen“. Ein Fernsehbild, das für einen Menschen flüssig verläuft, könnte aus Sicht der Tauben flackern und stocken. Die Forscher wollen mit dieser Vorarbeit sicherstellen, dass die Tauben die grafischen Muster ihrer Studie korrekt und artgerecht wahrnehmen. Auch überprüften die Forscher auf diese Weise mögliche Fehlerquellen von vorhergehenden Taubenstudien mehrerer Forschergruppen, die ebenfalls Bildschirme einsetzten und teils widersprüchliche Ergebnisse lieferten. Die Wahrnehmungsverzerrung durch Bildschirme mit zu niedrigen Frequenzen könnte eine Ursache für die widersprüchlichen Ergebnisse sein, vermuten die Wissenschaftler.

Originalpublikation
Juan D. Delius, Julia A. M. Delius, Jennifer M. Lee. Symmetry recognition by pigeons: Generalized or not? PLOS ONE, online veröffentlicht am 9. November 2017
http://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0187541
https://doi.org/10.1371/journal.pone.0187541
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