Ein Weckruf veranlasst zum Hinterfragen von Messtraditionen

Neue Erkenntnisse zur Risikobereitschaft als relativ stabiles Persönlichkeitsmerkmal

Jeder Mensch hat eine andere Bereitschaft, Risiken einzugehen. Doch welches psychologische Konstrukt steht hinter unseren Risikoentscheidungen? Hängt unsere Risikobereitschaft davon ab, worum es sich handelt? Variiert sie je nach Lebensbereich oder ist sie weitestgehend gleichbleibend? Die zunächst irritierende Antwort: Sowohl als auch. Das zeigt die großangelegte Basel–Berlin-Risiko-Studie von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung und der Universität Basel.

„Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass Risikobereitschaft ein ähnliches psychometrisches Muster hat wie psychologische Persönlichkeitsmerkmale. Vergleichbar mit dem allgemeinen Faktor der Intelligenz gibt es auch einen allgemeinen Faktor der Risikobereitschaft. Das heißt, dass man in verschiedenen Lebensbereichen zwar unterschiedlich risikobereit sein kann, doch dass ein allgemeiner Faktor immer mitwirkt“, sagt Erstautor Renato Frey, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Basel und Assoziierter Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. Für diese Erkenntnis spricht auch, dass dieser individuelle Faktor der Risikobereitschaft in den Tests über die Zeit stabil blieb.

Entgegen bisheriger Studiendesigns, die meist auf einzelnen oder nur wenigen Messinstrumenten für Risikobereitschaft beruhen, untersuchten die Wissenschaftler die Risikopräferenz von 1.507 Erwachsenen im Alter von 20 bis 36 Jahren mit drei verschiedenen Messansätzen. Dazu zählten: Selbstauskünfte über hypothetische Risikoszenarien, experimentelle Verhaltenstests mit finanziellen Anreizen sowie Angaben zu risikoreichem Verhalten im Alltag. Insgesamt 39 Tests mussten die Probanden innerhalb eines Tages absolvieren. Um zu sehen, wie stabil die Risikobereitschaft über die Zeit ist, ließen die Wissenschaftler 109 der Probanden die Tests nach sechs Monaten wiederholen.

Ein wichtiger Befund dieser Studie besteht darin, dass die hypothetischen Risikoszenarien und die Angaben zu risikoreichem Verhalten im Alltag ein ähnliches Ergebnis zu der Risikobereitschaft einer Person lieferten. Im Gegensatz hierzu ergaben die experimentellen Verhaltenstests ein davon abweichendes Bild. Eine detaillierte Analyse dieser Unstimmigkeiten ließ erkennen, dass die Probanden in den verschiedenen Verhaltenstests teils sehr unterschiedliche Entscheidungsstrategien angewandt hatten. Je nach den Eigenschaften der Verhaltensaufgaben – wie Risiken eher spielerisch erfahrbar zu machen oder eher abstrakt darzustellen – verhielten sich die Probanden sehr unterschiedlich. „Diese Ergebnisse zeigen, dass die von Ökonomen häufig bevorzugten Verhaltenstests oft ein inkonsistentes Bild der Risikobereitschaft von Menschen ergeben, das nur schwer mit einheitlichen Theorien zu Risikoverhalten erklärt werden kann“, sagt Jörg Rieskamp, Direktor der Abteilung für Wirtschaftspsychologie der Psychologischen Fakultät der Universität Basel.

Diese Resultate sind sowohl aus methodischen wie auch theoretischen Gründen bedeutsam. „Unsere Arbeiten sind ein Weckruf, die verschiedenen Messtraditionen zu hinterfragen und insbesondere besser zu verstehen, was genau die Verhaltenstests eigentlich messen. Sie scheinen jedenfalls keine Situationen übergreifende Risikopräferenz zu erfassen. Die Entdeckung des allgemeinen Faktors der Risikobereitschaft – basierend auf Urteilen über sich selbst sowie Angaben zu risikoreichem Verhalten im Alltag – deutet allerdings darauf hin, dass Risikobereitschaft ein eigenständiger Teil unserer Persönlichkeit ist. In Zukunft erlaubt uns dieses Wissen, auch die biologischen Grundlagen von Risikobereitschaft besser zu untersuchen“, sagt Ralph Hertwig, Direktor des Forschungsbereichs „Adaptive Rationalität“ am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung.

Originalstudie
Frey, R., Pedroni, A., Mata, R., Rieskamp, J., & Hertwig, R. (2017). Risk preference shares the psychometric structure of major psychological traits. Science Advances, 3, e1701381. doi:10.1126/sciadv.1701381

Pedroni, A., Frey, R., Bruhin, A., Dutilh, G., Hertwig, R., & Rieskamp, J. (2017). The risk elicitation puzzle. Nature Human Behaviour. doi:10.1038/s41562-017-0219-x